„Bin im Biergarten“ – warum Ortsinformationen sensible Daten sind

Christian Kray ist Professor am Institut für Geoinformatik der Universität Münster. Im Interview erzählt er uns vom Start des Projekts SIMPORT und wie die Forschenden flexibel auf Änderungen der Lage in Deutschland bezüglich der Corona-Pandemie reagieren wollen.

Christian Kray
© Christian Kray

Das Interview wurde im Juli 2020 geführt.

Herr Kray, bitte erzählen Sie uns etwas über das Projekt SIMPORT.

Bei SIMPORT beschäftigen wir uns mit Ortsinformationen und wie damit umgegangen wird. Viele Apps auf dem Handy greifen solche Informationen von Millionen von Menschen ab, und die Hersteller dieser Apps wissen dann oft sehr genau, wo sich jemand befindet und wie lange. Teilweise ist das technisch notwendig, zum Beispiel beim Mobilfunk, wo man mit einem Funk-Mast verbunden sein muss, um Empfang zu haben. Viele Dienste greifen die Daten aber auch routinemäßig ab, ohne dass es nötig ist. Man könnte zunächst glauben, dass die Koordinate eines Ortes nicht viel zu bedeuten hat, aber mit einem Ort sind sehr viele weitere Informationen verknüpft. Man kann beispielsweise einfach feststellen, was sich an einem Ort befindet (Gebäude, Geschäfte, Nutzungsmöglichkeiten, etc.). Daraus lassen sich dann direkt Rückschlüsse auf Wohnort, Arbeit, Gewohnheiten und sogar Freundschaften oder Erkrankungen schließen. Ist eine Nutzerin z.B. regelmäßig an einem Ort, wo sich eine Dialyse-Stelle befindet, kann man daraus ableiten, dass Sie unter Diabetes leidet. Diese weitreichenden Rückschlüsse basierend auf dem Aufenthaltsort sind sehr wenigen Menschen bewusst.

Und bei SIMPORT wollen Sie Menschen den Umgang mit ihren Daten bewusster machen?

Genau. Beim Öffnen einer neuen App auf dem Handy drücken viele Menschen die Hinweise zur Nutzung ihrer persönlichen Daten einfach weg. Nur wenige Menschen machen sich Gedanken darüber, wie sensitiv Ortsinformationen sein können. Bei sensitiven Daten wird meistens eher an Kontodaten oder Gesundheitsdaten gedacht. Ein Ziel von uns ist es daher, diese Denkweise zu ändern und Nutzerinnen und Nutzer besser zu erklären, was es mit Ortsinformationen auf sich hat.

Wie sind sie auf die Idee für das Projekt gekommen?

Am Institut für Geoinformatik beschäftigen wir uns schon lange mit Ortsinformationen. Wissenschaftliche Arbeiten haben gezeigt, dass schon mit sehr wenigen Ortsinformationen weitreichende Rückschlüsse bis hin zur eindeutigen Identifizierung von Personen möglich sind. Wir haben uns deshalb die Frage gestellt, wie man einen ortsbasierten Informationsdienst bauen kann, ohne dass dabei grundsätzlich immer Ortsinformationen gesammelt und gespeichert werden müssen. Und daran wollen wir bei SIMPORT arbeiten.

Ihr Projekt ist am 1. Juli gestartet. Welchen Einfluss hatte die Corona-Pandemie auf ihre Vorbereitungen?

Es kam zu erheblichen Verzögerungen des Projektstartes, da alle Prozesse länger dauern als sonst. Auch der Bewerbungsprozess war betroffen, da alle Gespräche online stattfinden mussten und Verwaltungsprozesse und -fristen verlangsamt waren. Unser Kick-off-Treffen, das wir natürlich gerne persönlich abgehalten hätten, konnte leider auch nicht in der normalen Form stattfinden. Wir erwarten auch größere Auswirkungen auf die noch ausstehende Forschungsarbeit. Eigentlich hatten wir im Projekt vor, viele Studien vor Ort durchzuführen. Navigationsdienste oder Empfehlungsdienste für Restaurants werden normalerweise vor Ort genutzt. Dementsprechend war geplant, Studien vor Ort durchzuführen, z.B. um zu erforschen, wie Nutzerinnen und Nutzer den Umgang mit diesen Diensten und das resultierende Gefahrenpotenzial einschätzen oder welches Verständnis sie von Ortsinformationen und ihrer Privatsphäre haben. Umfragen und Interviews durchzuführen ist durch die Corona-Pandemie deutlich schwieriger, da wir nicht einfach mit Testpersonen durch die Stadt laufen können. Wir müssen überlegen, wie wir eine ausreichende Zahl von Nutzerinnen und Nutzern einbinden können, ohne dass sie vor Ort sind.

Haben Sie dafür schon erste Ideen?

Wir könnten stärker als ursprünglich geplant virtuelle Umgebungen nutzen, sogenannte immersive Videoumgebungen. In diesen virtuellen Umgebungen zeigen wir Panorama-Videos von bestimmten Orten und lassen Nutzerinnen und Nutzer ihre Apps so benutzen, als ob sie sich an diesem Ort befinden. Wir wollen jetzt stärker untersuchen, ob man diese virtuelle Umgebung auch zuhause reproduzierbar und konsistent nutzen kann. Auf diesem Weg könnten Menschen von zuhause aus an Studien teilnehmen, während sie auf dem heimischen Bildschirm die virtuelle Umgebung sehen und ihr eigenes Handy nutzen, das mit dem Bildschirm verbunden ist. Das ist allerdings noch in einem frühen Stadium und wir müssen erforschen, ob das technisch so umsetzbar ist, dass man belastbare Ergebnisse erhält.

Was sollen die Teilnehmenden an der Studie lernen?

Nutzerinnen und Nutzer sollen erst einmal erfahren, welche Informationen sie bei welcher App freigeben. Wir wollen ihnen auf verständliche Art zeigen, welche Rückschlüsse aufgrund von geteilten Ortsinformationen möglich sind. Wir wollen verdeutlichen was passiert, wenn man beispielsweise in einem sozialen Netzwerk postet „Bin gerade im Biergarten“. Welche Folgen kann es nach sich ziehen, wenn viele Personen sehen können, dass man momentan nicht zuhause ist? Solche Fragen wollen wir mit Nutzerinnen und Nutzern spielerisch erkunden. Dabei wollen wir uns auch an Gruppen wie Studierende und Schüler wenden, die solche Dienste besonders intensiv nutzen. Eines unserer Kernziele ist es, existierende Ansätze für Angriffe auf die Privatsphäre klar erfahrbar zu machen. Die Nutzerinnen und Nutzer sollen direkt die möglichen Konsequenzen ihres Verhaltens erfahren können. Ein Beispiel hierfür ist das Vorhersagen von Verhalten, basierend auf geteilten Ortsinformationen. Werden regelmäßig Ortsinformationen geteilt, wird es möglich, Aussagen wie die folgende mit hoher Sicherheit abzugeben: „Du wirst in zehn Minuten in die S-Bahn einsteigen, an der Station XY aussteigen und dort bis circa 18 Uhr bleiben, um an Deiner Jazztanz-Gruppe teilzunehmen“. Wir müssen uns aber natürlich immer nach der aktuellen Lage in Deutschland richten und flexibel im Projekt bleiben. Wenn es beispielsweise einen zweiten Lockdown geben würde, könnte es sinnvoller sein sich mit im Auto nutzbaren Apps zu beschäftigen als mit Apps, die sich an Schüler auf Exkursionen richten, die aber sowieso nur online Lehre erhalten. Da wir im Projekt verschiedene Apps betrachten, sind wir hier flexibel.

Gibt es weitere Schwerpunkte im Projekt?

Wir wollen uns auch intensiv mit den Einwilligungen zu und der Kontrolle von Ortsdatensammlung beschäftigen. Nach dem Herunterladen einer App kann man aktuell meistens nur allen Datensammlungen zustimmen oder alle ablehnen. Lehnt man ab, kann man die App überhaupt nicht nutzen. Es gibt also keine feine Kontrolle und das wollen wir ändern. Dazu wollen wir neue Kontroll- und Auswahlmöglichkeiten entwickeln und auch Software-Entwicklerinnen und -Entwickler dabei unterstützen, diese in ihre Apps einzubauen. Dadurch möchten wir erreichen, dass sich diese neuartigen und erweiterten Kontrollmöglichkeiten auch in der Praxis verbreiten können.

Planen Sie eine interdisziplinäre Zusammenarbeit?

In der Geoinformatik arbeiten wir sowieso schon interdisziplinär, da wir Geographie und Informatik verbinden. Bei SIMPORT sind durch die TU Berlin auch die Gesellschaftswissenschaften stark vertreten. Dort geht es speziell um ethische Fragestellungen. Konkret wollen wir einen neuen Ansatz entwickeln, den wir „ethics-by-design“ nennen. Dabei sollen ethische Fragestellungen schon von Anfang an in die Entwicklung von Apps mit einbezogen werden und über den gesamten Entwicklungsprozess hinweg mitberücksichtigt werden. Dies ist vor allem beim Umgang mit Ortsinformationen wichtig, da es hier ein besonderes Spannungsfeld gibt: ortsbasierte Anwendungen können natürlich nicht gut funktionieren ganz ohne Ortsinformationen, aber gleichzeitig gefährdet das Teilen von Ortsinformationen auch die Privatsphäre. Man muss also im Einzelfall ethisch fundiert und technisch genau abwägen, welche Informationen man wem bereitstellt und für wie lange. Wir wollen daher einen neuen ethischen Ansatz entwickeln, der es ermöglicht, systematisch solche relevanten Fragen zu stellen und die Antworten einzuordnen.

Was sind Ihre ersten Herausforderungen jetzt kurz nach dem Start?

Wir müssen überlegen wie wir eine ausreichende Zahl von Nutzerinnen und Nutzern erreichen können und wie wir deren Einbindung effektiv gestalten können, zum Beispiel in Design-Workshops, aber auch in formalen Studien. Wir wollen beispielhaft verschiedene Dienste betrachten und Nutzerinnen und Nutzer sollten diese eigentlich in der realen Welt testen. Das Vorgehen müssen wir methodisch nochmal stark überdenken, wenn diese Personen jetzt wegen der Corona-Pandemie alleine unterwegs sind anstatt von einer Versuchsleiterin oder einem Versuchsleiter begleitet zu werden. Hier sind also noch deutliche Anpassungen notwendig. Wir hoffen deshalb, dass wir virtuelle Erfahrungs- und Versuchsumgebungen schaffen können, die Menschen zuhause nutzen können, um virtuell andere Orte zu besuchen und währenddessen etwas über den Schutz der Privatsphäre bezogen auf Ortsinformationen zu lernen.

Weitere Informationen

Projektsteckbrief SIMPORT