Kontaktlose Interaktion mit Bildschirmen

Ticket- und Bankautomaten sind auch in der Corona-Pandemie stark frequentiert. Es besteht das Risiko, dass Eingabeflächen kontaminiert werden und viele Menschen mit Covid-19 in Kontakt kommen. Das Projekt oculidCam entwickelt ein Konzept zur Erkennung von Blickbewegungen, das eine berührungslose Interaktion mit Bildschirmen ermöglicht. Dr. Antje Venjakob erklärt, wie die Technologie funktioniert.

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Dr. Antje Venjakob, CEO von oculid und Projektkoordinatorin im Projekt oculidCam.© oculid UG

 Das Interview wurde im Juni 2020 geführt.

Wofür steht oculidCam?

OculidCam ist eine Kombination aus mehreren Wörtern. Oculid ist unser Firmenname. Er leitet sich zum einen aus dem lateinischen Wort oculus, dem Auge ab. Zum anderen steht „id“ für die Identität bzw. die Authentifizierung mittels biometrischer Charakteristika. Und „Cam“ steht für die Kamera, ohne die unsere Technologie nicht funktionieren würde. Der Projektname oculidCam gibt daher schon einen sehr guten Ausblick auf das, was wir in unserem Projekt machen.

Worum genau geht es denn im Projekt oculidCam?

Im Fokus unserer Forschungsarbeit steht die Erkennung und Auswertung von menschlichen Blickbewegungen bei der Nutzung von Bildschirmen – vor allem in Bezug auf mobile Endgeräte. Wir wollten in Echtzeit nachvollziehen können, auf welchen Bereich eines Displays die Nutzerinnen und Nutzer ihre Augen richten. Inzwischen gelingt uns das sehr gut – und alles was wir dazu als Eingabegerät benötigen ist die Selfie-Kamera, die inzwischen jedes Smartphone besitzt.

Was ist so interessant an diesen Blickbewegungen?

Das Erkennen von Blickbewegungen, das sogenannte Tracking, dient als Grundlage für unterschiedliche Anwendungsmöglichkeiten. Eine davon ist ein biometrisches Authentifizierungsverfahren, das auf den individuellen Merkmalen der menschlichen Augenbewegungen beruht. Damit lässt sich beispielsweise ein Smartphone entsperren, indem man mit den Augen in einer bestimmten Reihenfolge unterschiedliche Punkte auf einem Display ansieht. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit, auf die sich unser Unternehmen derzeit spezialisiert, ist die Durchführung von sogenannten User Experience (UX) Studien, die vor allem App-Entwicklern und Entwicklern mobiler Webseiten wertvolle Einsichten zur Nutzerinteraktion mit den jeweiligen Bildschirminhalten ermöglichen und letztlich dabei helfen, die Apps zu verbessern.

Wie funktioniert die Technologie?

Wir greifen beim Tracking, wie gesagt, auf die Selfie-Kamera eines Mobiltelefons zu. Im Hintergrund läuft ein Bildverarbeitungs-Algorithmus, der die Blickposition aus den einzelnen Bildern extrahiert und daraus die geschätzte Blickposition auf dem Display errechnet. Für unseren derzeitigen Fokus als Unternehmen reicht es im Moment zu wissen, wo die Nutzerinnen und Nutzer hinschauen. Die Technologie haben wir aber auch bereits in verschiedenen Anwendungskontexten dazu genutzt, um Eingaben auf dem Display zu machen – beispielsweise durch das Fokussieren bestimmter Bildschirmelemente. Damit ist dann eine kontaktlose Eingabe möglich.

Könnte die kontaktlose Eingabe theoretisch auch während der aktuellen Corona-Pandemie helfen?

Ja, das ist durchaus denkbar. Zwar haben wir uns in erster Linie auf den Einsatz mit mobilen Endgeräten spezialisiert, aber im Prinzip lässt sich die Anwendung auch in stationärer Hardware nutzen – beispielsweise in stark frequentierten Ticketautomaten. Die Reisenden könnten ihre Tickets dann mit ihren Blicken auswählen und müssten das Display nicht länger mit ihren Fingern berühren. Auf diese Weise ließe sich das Kontaminationsrisiko deutlich verringern. Dass dies auch in der Praxis funktioniert, konnten wir bereits während unserer Forschungsarbeiten an der Technischen Universität Berlin, also vor der Gründung des Unternehmens oculid, belegen. Damals haben wir nämlich einen solchen blickgesteuerten Fahrkartenautomaten als Proof of Concept gebaut.

Befindet sich die Technologie bereits in der Anwendung?

Ja, wir befinden uns mit der Technologie aktuell in einer Pilotphase und stehen bereits in Verhandlung mit mehreren Kunden. In den nächsten Wochen werden wir dann ein Produkt auf den Markt bringen. Es handelt sich dabei um eine Software as a Service (SaaS) Plattform, die es unseren Kunden – z.B. Entwickler von Apps und Websites – ermöglichen wird, UX Nutzerstudien dezentral über die Selfie-Kameras an den Mobiltelefonen der Testpersonen durchzuführen. Zuvor war es nämlich notwendig, dass sich die Testpersonen hierzu in einem Testlabor einfinden.

Das Projekt oculidCam endet im November. Wie geht es danach weiter?

Die Technologie, also die Erkennung der Blickrichtung, die wir innerhalb des Projekts oculidCam entwickelt haben, fließt direkt in unser aktuelles Produkt ein. Sie wird auch nach dem Projektende für unser Unternehmen eine zentrale Rolle spielen, daher ist es sehr wahrscheinlich, dass wir auch in Zukunft weiter forschen werden, um unsere Produkte weiterzuentwickeln.

Weitere Informationen

Webauftritt der oculid UG

Projektsteckbrief oculidCam

Bekanntmachung Start MTI